U.v.Beckerath

24.10.1955

 

Lieber Erich,

 

vielen Dank fuer die Zusendung des Ausschnitts aus der "Neuen Presse" vom 22.d.M. Der Aufsatz von Richard Maurer ueber die Waehrung war mir sehr interessant; er ist einer der vielen Schatten, die das grosse, kommende Ereignis vorauswirft, naemlich die Papiergeld-Inflation Nr. 3.

 

Nicht nur ein Schatten, sondern ein rechtes Sirenengeheul war ein Aufsatz in einer Gewerkschaftszeitung, die ich kuerzlich von einem Bekannten erhielt. Der Verfasser erklaerte ebenso wie Maurer die Goldwaehrung fuer Quatsch, bestritt jeglichen Zusammenhang zwischen der Menge des umlaufenden Zwangskursgeldes und dem Preisniveau und verlangte die Aufhebung der auch von Maurer erwaehnten Bestimmung im Gesetz Nr. 62, § 5, Abs.II, wonach die Menge des Zwangskursgeldes erst dann erhoeht werden darf, wenn 3/4 der Mitglieder des Bankrates und 6 Laender zustimmen. Da die Gewerkschafts-Buerokratie heute mit zu den herrschenden Klassen gehoert, und ein einzelnes Mitglied dieser Klasse schwerlich etwas schreiben wird, das den Meinungen der aendern widerspricht, so scheint mir, dass die neue Inflation bereits eine beschlossene Sache ist.

Zur Vorbereitung auf die Inflation gehoert auch die Verdrehung des Sinnes des Wortes "Inflation". Frueher unterschied man, ganz richtig, zwischen "Teuerung" und "Inflation". Von "Teuerung  sprach man, wenn die Preiserhoehung von der Warenseite herkam, z.B. eine Missernte eingetreten war, neue Zoelle eingefuehrt waren, ein Krieg oder eine Revolution Vorraete vernichtet hatte, u. dgl. Von "Inflation" sprach man, wenn die Preiserhoehung von der Geldseite herkam, genauer ausgedrueckt: von der Seite des Zwangskursgeldes her. Der wichtigste und fuer die Praxis fast allein in Betracht zu ziehende Fall ist die Vermehrung des Zwangskurs-Papiergeldes. In welchem Ausmass die in Deutschland stattgefunden hat. kannst Du dem beiliegenden Ausschnitt aus der "Freisozialen Presse" von 1.7.55. entnehmen. Die Emission begann, ganz harmlos, am 7.7.48 mit rd. 2.7 Milliarden. Jetzt sind wir an der 14-Milliarden-Grenze angelangt. Im Durchschnitt des Jahres 1913 betrug die Geldmenge ziemlich genau 6 Milliarden Goldmark. Dieser Betrag ist einer Volksmenge wie der des hochindustriellen Deutschland angemessen.

Maurer sagt: man wisse nicht, wieviel Gramm Feingold die D-Mark eigentlich wert sei. Da ich keinen Grund habe, an der Ehrlichkeit Maurer's zu zweifeln, so muss ich feststellen, dass er unwissend ist. Ein Zwanzig-Mark-Stueck wird in Frankfurt z. Zt. mit rd. 40 Papiermark bezahlt. Ein 20-M.-Stueck wiegt brutto 7,9649 Gramm und enthaelt 7.1685 Gramm Feingold. Barrengold wird in Frankfurt, wie in jeder Zeitung taeglich zu lesen ist, mir rd. 5 Papiermark fuer l Gramm bezahlt, daneben gibt es noch einen "amtlichen" Wert, der allerdings nicht viel zu bedeuten hat. Das ist der Wert. der s. Zt. amtlich dem internationalen Waehrungsfonds mitgeteilt wurde, naemlich 0.2115588 g  fuer eine Westmark. Aus dem gegenwaertigen Barrenpreis in Frankfurt ergeben sich nur 0.2 g. (4.91-4.97 = l g  - 4,94 = 0.2024. JZ)

 

Zur Vorbereitung auf die Inflation gehoert auch die Verdrehung des Sinnes des Wortes "Goldwaehrung". Der wahre Sinn ist: Die Preise in den Laeden und anderswo werden in Goldmuenzen berechnet. Das ist heute allerdings nur noch in Saudi-Arabien erlaubt. Dass gleichzeitig mit der Goldpreisrechnung in Laeden eine Zentralnotenbank besteht, deren Noten durch Gold gedeckt sind, das ist fuer die Existenz einer Goldwaehrung nicht erforderlich. Es hat Goldwaehrungen gegeben, lange bevor es Banknoten gab. In den Maerchen aus "1001 Nacht" kommen an hunderten von Stellen Goldmuenzen vor und Zahlungen damit, auch bestreitet kein OEkonomist im Ernst, dass Arabien zur Zeit der Kalifen eine Goldwaehrung hatte. Er bestreitet auch nicht, dass z.B. Koenstan-

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tin eine Goldwaehrung im roemischen Reich etablierte, die sich dann Jahrhunderte lang hielt und sogar von den Tuerken nach der Eroberung Konstantinopels uebernommen wurde.

Eine Ausgabe von Banknoten, die im Verkehr den Goldstuecken gleich geachtet werden. und die auf Wunsch des Noteninhabers bei der Notenbank in Goldstuecke umgetauscht werden, ist allerdings nur unter der Goldwaehrung moeglich, ist aber nicht dasselbe wie Goldwaehrung.

In Deutschland wurden "Reichsgoldmuenzen", wie das Gesetz vom 4.12.1871 sie nannte, schon auf Grund eben dieses Gesetzes ausgepraegt. Die Reichsbank nahm ihr Notengeschaeft erst am 1.1.1876 auf. Aber schon vorher haben alle deutschen Regierungen, ausgenommen Bayern und Elsass-Lothringen, durch Verordnung die Reichsmarkrechnung eingefuehrt.

Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass nach Art. 2 des Bismarck'schen Bankgesetzes von 1875 niemand verpflichtet war, bei Zahlungen Banknoten anzunehmen. Auch die Noten der Preussischen Bank und die der 33 andern Notenbanken, die s. Zt. noch bestanden, unterlagen keinem Annahmezwang. Gerade das bewirkte Vertrauen zum Papiergeld, denn die heute vergessene (oder sekretierte) Erkenntnis war zur Zeit Bismarcks sogar im Volke verbreitet: Nur bei Annahmezwang und Zwangswert des Papiergeldes ist Inflation moeglich. Die deutschen Noten  konnten  also kein Inflationsgeld sein, wurden daher allgemein angenommen. (I.J. 1908 erzaehlte der Leiter der Bayerischen Notenbank, dass tatsaechlieh mal ein Mueenchener Hausbesitzer die Annahme der "pro iss'sehen" Noten verweigert hatte.)

 

Maurer hebt die Tatsache hervor, dass die Westmark begehrt ist. Den Teufel auch! Die Milliardenmark und die Billionmark der Inflationszeit waren ebenfalls begehrt, einfach weil man sich damit etwas kaufen konnte, und niemand sie ablehnen durfte. (Zwangskurs.)

Trotz seiner Unkenntnis wichtiger Einzelheiten des Geldwesens und der Geldtheorie gibt Maurer aber zu, dass der "Inflation alle nur erdenkbaren Moeglichkeiten" eroeffnet sind.

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Praktische Bedeutung fuer uns: Nicht Glaeubiger werden, wenn man's vermeiden kann, allenfalls nur auf ganz kurze Zeit. Also: kein Bankguthaben unterhalten, das auf Westmark lautet, auch kein Sparguthaben. Aber, das hast Du ja laengst begriffen, wie ich aus Deinen frueheren Briefen ersehe.

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Noch einen Tip: So lange die Zahlungsgewohnheiten eines Landes sich nicht aendern, schwankt der Goldwert der Gesamtmenge des umlaufenden Geldes nur innerhalb nicht sehr weiter Grenzen, unter Bruening i.J. 1929 betrug die Geldmenge im Durchschnitt 6,6 Milliarden, entsprechend einem Gewicht von rd.  2.400 Tonnen Gold (Feingold). Heute betraegt die Geldmenge nahe an 14 Milliarden, und das entspricht bei einem Goldpreis von einer Papiermark fuer 1/5 Gramm: 2,8 Millionen kg oder 2 800 Tonnen Feingold. Steigt der Goldwert der Gesamtmenge des umlaufenden Geldes auf erheblich mehr als 2.800 Tonnen Feingold, so steht irgendein monetaeres Unglueck bevor.

Im Juli 1920 war der Goldwert der damals umlaufenden 70 Milliarden Papiergeld im Monatsdurchschnitt auf 7,4 Milliarden Goldmark gestiegen oder rd. 2650 Tonnen Feingold. Ich prophezeite meinen Kollegen bei der Volksfuersorge ein baldiges, monetaeres Unglueck. Am 30.Okt.1920 hatte der Dollar einen Kurs von rd. 76 erreicht, waehrend er Mitte Juli erst auf rd. 38 stand.

 

Mit bestem Gruss

gez.  Ulrich.

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Page 3324.